Ursel Döllgast
15. November 1929 – 5. September 2023
Ursel Döllgast wurde am 15. November 1929 in Osnabrück geboren, wo ihre Eltern Rose und Walter Oehmichen am Theater engagiert waren. Im Sommer 1931 zogen sie – nun zu viert – nach Augsburg. Im März hatte Ursel ein kleines Schwesterchen namens Hannelore bekommen, das von ihr den Spitznamen Hatü erhielt. Sie selbst wurde von Familie und Freunden Ulla genannt.
Sie wuchs in unsicheren und bedrohlichen Zeiten auf. Noch nicht zehnjährig erlebte sie den Ausbruch des zweiten Weltkriegs, der in ihrem Vater einen gleichermaßen ungewöhnlichen wie ambitionierten Wunsch reifen ließ. Er wollte parallel zu seiner Arbeit als Oberspielleiter des Augsburger Stadttheaters auch mit einem kleinen Marionettentheater etwas Farbe in das triste Grau des Alltags bringen.
Die Premiere seines Puppenschreins fand an Ullas 13. Geburtstag statt. Ihre Gäste konnten das Kasperlspiel
Die drei Wünsche vom Wohnzimmer aus durch ein Türrahmentheater verfolgen, während die Oehmichens im Esszimmer dahinter die Fäden zogen. Ulla sprach den Kasperl und sorgte für die Beleuchtung.
Nach Kriegsende schloss sie die Schule mit ihrem Abitur ab, fand parallel dazu aber stets die Zeit, die Bühnentexte für ihren Vater auf einer Reiseschreibmaschine zu vervielfältigen. Der Puppenschrein hatte den Krieg nicht überstanden. An seiner Stelle schuf Walter Oehmichen darum die größere Augsburger Puppenkiste. Am 26. Februar 1948 wurde sie mit dem Märchen vom
gestiefelten Kater eröffnet und Ulla wirkte fortan auf vielfältige Weise mit. Sie fädelte Marionetten ein, half beim Kulissenbau, sprach zahllose Figuren (besonders die Bubenrollen fielen ihr regelmäßig zu), griff auch oftmals zum Spielkreuz, wenn Hilfe vonnöten war. Vor allem aber kümmerte sie sich um die Buchhaltung und ersetzte ihrem Vater eine fähige Sekretärin.
Als die Puppenkiste mit
Der Kleine Prinz und anderen Stücken zunehmend an Bekanntheit und Anerkennung gewann, war sie auch stets dabei, wenn das noch junge Theater mit seiner Reisebühne in anderen Städten und Ländern Gastspiele gab. Es waren ereignisreiche Jahre, die sie im Rückblick als »ebenso anstrengend wie beglückend« beschrieb.
Für Ulla endete die Zeit im Familienunternehmen vorerst im Jahr 1957, als sie am 7. Februar die Frau von Walter Döllgast (* 25.12.1929) wurde und mit ihm Augsburg verließ.
Nach dem Tod ihrer Eltern unterstützte sie ihre Schwester Hannelore in den 1980er und '90er Jahren aber gern wieder, indem sie in die Fußstapfen der verstorbenen Mutter Rose trat und zahlreiche Figuren kostümierte.
Abgesehen von diesen Mitwirkungen, die sie zumeist von zuhause in Erlangen erledigte, bildete jedoch ihre Familie ihren Lebensmittelpunkt. Neben Walter waren dies zwischenzeitlich auch ihre Kinder Brigitte und Bernd.
2014 verloren die Döllgasts jedoch ihren geliebten Ehemann und Vater. Walter verstarb am 23. Juni.
Ihre letzten Jahre verbrachte Ulla Döllgast in einer Altersresidenz im schönen Seeshaupt am Starnberger See, wo sie in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2023 im Alter von 93 Jahren sanft entschlief.
Ich hatte das Vergnügen und das Privileg, sie fast 17 Jahre lang zu kennen. Stets hilfsbereit und zuvorkommend stand sie mir am Telefon Rede und Antwort, wenn ich mit meinen zahlreichen Fragen auf sie zukam. Als das letzte noch lebende Gründungsmitglied der Augsburger Puppenkiste war sie eine meiner wichtigsten Quellen für all die Details, die in keinem Dokument überliefert worden waren.
Zu meinen schönsten Erinnerungen an sie zählen ohne jeden Zweifel die Stunden, die wir Anfang des Jahres 2008 gemeinsam im Foyer der Puppenkiste damit verbrachten ein altes Schwarzweiß-Foto des Puppenschreins auf Basis ihrer Erinnerungen von Hand zu colorieren, was mir anschließend den detailgetreuen Nachbau der 1944 zerstörten Bühnenfront erlaubte, welche seither im Museum
die Kiste zu sehen ist.
Bis zuletzt blieb Ursel Döllgast ungebrochen hilfsbereit, obgleich die Gebrechen des Alters ihr das Leben zunehmend schwerer machten. Noch im März dieses Jahres stellte sie sich ohne zu zögern für ein ausführliches Interview vor Kameras zur Verfügung.
Nun ist ihre Stimme verstummt, ihr unerschöpflicher Wissensschatz und ihr freundliches Wesen für uns verloren. So bleibt ein letztes Mal zu sagen und zu hoffen, dass sie es fernen Ortes hören möge: vielen Dank für Alles, liebe Frau Döllgast.