Zeitungsartikel
Die Ilsebill und das Wirtschaftswunder. Marionettentheater eröffnet mit dem Märchen »Vom Fischer und seiner Frau«
Autor(en): |
Seyboth, Gertrud (Sy) |
Erschienen: |
1957 |
In: |
Schwäbische Landeszeitung vom 17. Oktober 1957 |
Personen: |
Ammann, Ernst Josef |
Volltext:
Die Ilsebill und das Wirtschaftswunder
Marionettentheater eröffnet mit dem Märchen »Vom Fischer und seiner Frau«
Im Marionettentheater wird wieder einmal nach Kräften gezaubert. Haus, Frau und Hund wandeln in immer neu veränderter Gestalt durch die Szenen und der Zauberer ist ein goldglänzender Märchenfisch, der nach jedem Bild aus dem Hintergrund der Bühne hervortaucht, um der Handlung zu neuen Überraschungen zu verhelfen. Aber auch dieser Zauberer wird von einem Mächtigeren gelenkt: Es ist Manfred Jenning, der an der »Augsburger Puppenkiste« zur Eröffnung der Winterspielzeit Grimms Märchen »Von dem Fischer und seiner Frau« bearbeitet und in Szene gesetzt hat.
Walter Oehmichen gibt seinen jungen Helfern gern die Chance, ihr Können zu zeigen und die Möglichkeiten der Puppenbühne von allen Perspektiven aus zu erfahren. Manfred Jenning, damals junger Schauspielschüler, begann schon bei den ersten Aufführungen des Theaters, vor fast zehn Jahren, als Sprecher und Puppenführer. Die Freunde des Marionettentheaters kennen seine Stimme gut, die den kleinen Darstellern immer noch zu Leben und Ausdruck verhilft. Aber bald fing Jenning an, selbst Stücke zu bearbeiten und kleine Inszenierungen zu übernehmen. Seit dem »Tapferen Schneiderlein« hat er schon eine hübsche Märchenserie herausgebracht.
Die Historie vom Fischer und seiner unersättlichen Frau, so reizvoll sie für Kinder ist und so viel sie den Erwachsenen gerade heute, im Zeichen des Wirtschaftswunders, zu sagen hat, musste von Jenning für die Bühne ein wenig bereichert werden. Dabei hatte er recht gute Ideen: So wird nicht nur die Fischersfrau Ilsebill zum reichen Bauern, zum Grafen, König, Kaiser und Papst befördert, auch zwei Gesellen machen die Wandlung mit und bringen viel Humor in das Spiel. Sogar das kleine Hundchen des Fischers, zunächst eine unscheinbare Straßenmischung, avanciert zum reinrassigen Dackel, um dann ein königlicher Pudel und gar eine kaiserliche Dogge zu werden. Natürlich verwandelt sich auch das Häuschen der Fischersleute in Schloss und Palast, wie es dem Märchen entspricht. Aber da lässt Manfred Jenning in jeder Szene ein Heringsfass erscheinen, das dem guten Fischer Klaas einmal das Leben gerettet hat. Auch in der feinsten Umgebung behauptet es stur seinen Platz, zum Ärger der hochmütigen Ilsebill, die ihre bescheidene Herkunft lieber vergessen möchte. Das Fass, das einfach immer wieder dasteht, bedeutet also soviel wie Vergangenheit und Gewissen. Freilich könnte das auch der Fischer selbst bedeuten, der, ein recht sympatisches Figurchen, die Verwandlung nicht mitmacht. Aber einen Menschen übersieht man halt leichter!
Ernst Ammann, auch er einst Sprecher der Bühne, ist nach dem Besuch der Akademie in München längst zum bewährten Bühnenbildner der Puppenkiste geworden. Eine Ausstellung von Szenenbildern und Figurinen im Vorraum und Zuschauerraum erzählt von seinen bemerkenswerten Fähigkeiten. Er hat auch in dieser Aufführung wieder die schönsten Möglichkeiten. Wie malerisch er sie versteht, zeigt das wirkungsvolle Hintergrundmotiv, das in jeder Szene bestehen bleibt, durch ein Fischernetz vom Vordergrund geschieden. Hier, auf den fernen Klippen, wiederholen sich Klagen und Bitten des Fischers an den Butt: »Mine Fru, die Ilsebill, will nicht so als ich wohl will … «
Ist das Märchen, mit dem am Samstagnachmittag die neue Spielzeit des Marionettentheaters eröffnet wird, in erster Linie für Kinder gedacht, so folgt am Abend als Premierenfreude für die Erwachsenen »Die Schwäbische Schöpfungsgeschichte« von Sebastian Sailer, die zwar schon in einer Serie für Theatergemeinde und Volksbühne über die Bretter ging, nun aber endlich in öffentlicher Aufführung gezeigt wird. Sie hatte bisher einen großen Erfolg zu verzeichnen. Als Gast hat sich diesmal auch der Landrat von Saulgau in Württemberg angesagt, in dessen Bereich Schussenried liegt. Dort hat Sebastian Sailer im einstigen Kloster sein Stück zum ersten Male beim Geburtstag des Abtes aufgeführt.