Zeitungsartikel
Augsburg. "Cenodoxus, der Doktor von Paris"
Beteiligte: |
Fotostudio Meile (Fotos) |
Erschienen: |
Köln: Theater-Rundschau-Verlag, 1955 |
In: |
Theater-Rundschau vom 1. Juni 1955 |
Volltext:
»Cenodoxus, der Doktor von Paris«
Die hier bereits vorgestellte Augsburger Marionettenbühne von Walter Oehmichen, bekannt in deutschen Landen unter dem Namen »Augsburger Puppenkiste«, hat zum Augsburger Jubiläumsjahr 1955 den berühmten »Cenodoxus, Doktor von Paris« herausgebracht. Joseph Gregor hat das Stück des Jesuiten Jakob Bidermann bearbeitet und Oehmichen hat es für das Spiel mit Marionetten eingerichtet und inszeniert. Es ist auch auf der Puppenbühne »eine der stärksten Tragödien« geblieben, die die Barockzeit aufzuweisen hat. Josef Nadler schreibt in seiner Literaturgeschichte des deutschen Volkes, der »Cenodoxus« sei sogar »das Meisterwerk des Barocktheaters, das alles umfasst, was dieser Bühne eigentümlich war und wenn man nur Zeit, Ort und Umstände im Auge behält, eine der stärksten Tragödien, die ein Deutscher schuf«. Und Joseph Gregor geht in seinem Schauspielführer sogar so weit, den »Cenodoxus« neben Shakesspeare zu stellen. Jakob Bidermann, der schwäbische Shakespeare, ist 1578 in dem Dorf Ehingen geboren, kam mit 8 Jahren zu den Augsburger Jesuiten in die Schule, mit 16 Jahren trat er in den Orden ein und wirkte am Augsburger Jesuitengymnasium, wo er das Schultheater zu betreuen hatte. Am 3. Juli 1602 wurde sein »Cenodoxus« dort zum erstenmal aufgeführt. Nach 353 Jahren erscheint diese »erste große Leistung des Frühbarock«, wie der Dichter Flemming sie bezeichnete, nun im Augsburger Marionettentheater.
Walter Oehmichen brachte am 7.5.55 die Premiere für die Augsburger Theatergemeinde heraus. 38 Gruppen ihrer Teilnehmer haben im Mai mit unverminderter Begeisterung diese Aufführung besucht.
Den auswärtigen Theatergemeinden und ihren Teilnehmern, die in diesem Jahr der Weg nach Augsburg führt, sei noch mitgeteilt, was die »Schwäbische Landeszeitung« (Thea Leitmair) u. a. über die Bearbeitung für das Marionettentheater und die Aufführung schrieb: »Wenn ein hochgebildeter Humanist zugleich auch ein hochgelehrter Jesuit ist, wenn dazu noch ein starker dramatischer Nerv und eine kräftige poetische Ader seine geistige Konstitution bestimmen, nimmt es nicht wunder, dass er aus einem simplen gegenreformatorischen Lehrstücklein ein kleines theatrum mundi von großer dramatischer Bewegtheit macht. Die Verzauberungskraft des Theaters mit souverän beherrschten, bühnentechnischen und poetischen Mitteln beschworen, wird dabei plötzlich zur ›propaganda fidei‹, die Erschütterung und Bekehrung auslösen und den Zuschauer womöglich vor dem Schicksal des Cenodoxus bewahren kann, der vor den Menschen alles, vor Gott nichts galt und einen Tag nach seinem Tode der Hölle überantwortet wurde, dieweil sein Leben nicht als eine ›Komitragödie‹ der menschlichen Eitelkeit war« ... Die »Inszenierung ist so voll Atmosphäre, dass man des umfangreichen technischen Aufwands vergisst, den die Darstellung des üppigen, vielverzweigten Spielgeschehens voraussetzt.«
Mit dieser Ehrengabe des Augsburger Marionettentheater in der Hand, heißt die Theatergemeinde Augsburg e.V. den Bund der Theatergemeinden e.V. zu dessen Jahresversammlung 1955 in Augsburg herzlich willkommen und wünscht, die Tage vom 17. bis 19. Juni möchten unter den gleichen »günstigen Auspizien« stehen wie die Aufführung dieses kleinen Welttheaters des »Cenodoxus« in Augsburg!